Baukostenschätzung für Bauantrag: So erreichen Sie Genauigkeit und korrekte Nachweise nach DIN 276
22 November 2025 0 Kommentare Tilman Fassbinder

Baukostenschätzung für Bauantrag: So erreichen Sie Genauigkeit und korrekte Nachweise nach DIN 276

Warum Ihre Baukostenschätzung den Bauantrag entscheidend beeinflusst

Ein Bauantrag ist kein Formsular, den Sie einfach ausfüllen und abgeben. Er ist ein rechtlicher und finanzieller Vertrag mit der Gemeinde - und die Baukostenschätzung ist das Fundament davon. Wenn die Schätzung zu niedrig ist, wird der Antrag abgelehnt. Wenn sie zu ungenau ist, drohen spätere Haftungsprobleme. In Deutschland gilt seit 2018 die DIN 276:2018-12 als verbindlicher Standard. Sie legt fest, wie Sie Kosten für einen Bauantrag berechnen und dokumentieren müssen. Doch viele Bauherren und sogar Architekten verstehen nicht, was wirklich hinter diesen Zahlen steckt.

Was die DIN 276 wirklich verlangt - und was nicht

Die DIN 276 unterscheidet fünf Ebenen der Kostenermittlung. Für den Bauantrag ist nur Ebene 1 relevant: die Kostenschätzung. Sie ist keine detaillierte Kalkulation, sondern eine grobe Einschätzung. Laut Norm ist eine Abweichung von ±30% akzeptabel. Das klingt nach viel - und ist es auch. Bei einem geschätzten Budget von 500.000 € dürfen die tatsächlichen Kosten zwischen 350.000 € und 650.000 € liegen. Aber: Diese Toleranz ist kein Freibrief. Sie ist ein rechtlicher Rahmen, kein Ziel.

Die Norm verlangt klar definierte Kostengruppen: Erdarbeiten (300), Rohbau (400), Ausbau (500), Technische Anlagen (600) und Außenanlagen (700). Jede Gruppe hat einen typischen Anteil an den Gesamtkosten. Rohbau macht oft 25-35% aus, Ausbau 20-30%. Wer das nicht kennt, rechnet falsch. Und wer nur eine Summe hinschreibt, ohne diese Gliederung, erhält eine Beanstandung vom Bauamt.

Die fünf häufigsten Fehler, die Ihren Bauantrag scheitern lassen

Die meisten Bauanträge scheitern nicht am Plan, sondern an der Kostenschätzung. Hier sind die fünf größten Fehler, die ich in der Praxis sehe:

  1. Unvollständiger Baugrund: 42% der beanstandeten Schätzungen haben kein Bodengutachten oder ignorieren mögliche Altlasten. Ein versteckter Altlastenbefund kann die Kosten um 100.000 € erhöhen.
  2. Fehlende Erschließungskosten: 35% vergessen die Kosten für Wasser, Abwasser, Strom, Gas und Straßenanbindung. Diese sind nicht im Grundstückspreis enthalten - und werden oft als „selbstverständlich“ angenommen.
  3. Falsche Flächenberechnung: Nach DIN 277 wird die Wohnfläche anders berechnet als die Bruttogrundfläche. Wer das verwechselt, unterschätzt die Kosten um 15-20%.
  4. Umsatzsteuer falsch behandelt: Bei Eigenheimen ist die Umsatzsteuer nicht abziehbar. Die Kosten müssen daher in Brutto angegeben werden. Wer das als Netto ausweist, macht einen formalen Fehler, den das Bauamt sofort bemerkt.
  5. Keine Dokumentation der Annahmen: 67% der beanstandeten Schätzungen enthalten keine Erklärung, auf welcher Planungsgrundlage sie beruhen. War der Entwurf in LP 2? Gab es eine erste Skizze? Wer das nicht schriftlich festhält, kann später nicht beweisen, dass die Schätzung seriös war.

Was Sie als Nachweis vorlegen müssen - Schritt für Schritt

Ein Bauantrag ohne vollständige Nachweise ist wie ein Kreditantrag ohne Einkommensnachweis. Das Bauamt verlangt konkret:

  • Baugrundstück und Erschließung: Lageplan, Flurkarte, Nachweis der Erschließungszustände (z. B. Anschluss an öffentliche Leitungen).
  • Bodengutachten: Wenn der Boden verdächtig ist - z. B. früher Industrie- oder Müllfläche - muss ein Gutachten vorliegen.
  • Entwurfszeichnungen: Mindestens die Planung nach HOAI Leistungsphase 2. Keine Skizzen, keine Fotos. Sämtliche Grundrisse, Ansichten, Schnitte.
  • Flächenberechnung nach DIN 277: Mit Angabe der Methode: Wohnfläche, Nutzfläche, Bruttogrundfläche. Jede Zahl muss nachvollziehbar sein.
  • Bereits entstandene Kosten: Grundstückspreis, Grunderwerbsteuer, Erschließungsbeiträge. Diese gehören zur Gesamtkostenrechnung, auch wenn sie nicht in die Baumaßnahme fließen.
  • Umsatzsteuer-Angabe: Klare Kennzeichnung: Brutto oder Netto? Und warum? Bei Wohnbauten immer Brutto.

Das sind keine Wünsche. Das sind Pflichten. Wer nur eine Excel-Tabelle mit einer Summe einreicht, wird zurückgewiesen.

Waage mit ordentlichen DIN-276-Dokumenten auf einer Seite und chaotischen Fehlern auf der anderen.

Wie genau muss Ihre Schätzung wirklich sein?

Die Norm sagt ±30%. Aber die Realität sagt etwas anderes. Eine Umfrage des Instituts für Baufinanzierung aus 2023 zeigt: 63% der Bauherren erleben Kostenüberschreitungen von mehr als 30%. Warum? Weil die Schätzung nicht aktualisiert wurde. Die Planung dauert 6-12 Monate. In dieser Zeit steigen Materialpreise, Löhne, Transportkosten. Wer das nicht berücksichtigt, rechnet mit den Preisen von vor einem Jahr.

Experten wie Prof. Sedlbauer vom Fraunhofer IBP fordern daher: Bei energieeffizienten Bauten - Passivhaus, Niedrigenergiehaus - sollte die Schätzung schon ±20% betragen. Warum? Weil die Technik genau geplant ist. Da gibt es keine Überraschungen. Bei Sanierungen alter Häuser ist sogar eine Toleranz von 40% möglich - aber nur, wenn die Bausubstanz nicht vollständig sichtbar war. Das muss dokumentiert werden.

Und hier kommt der Knackpunkt: Banken. Die Deutsche Bundesbank berichtet, dass 22% der Kreditinstitute Baukredite ablehnen, wenn die geschätzten Kosten mehr als 15% von ihren internen Referenzwerten abweichen. Das bedeutet: Selbst wenn die DIN 276 ±30% erlaubt, verlangen Banken eine höhere Genauigkeit. Sie brauchen Sicherheit. Sie wollen nicht, dass Sie später pleite sind.

Die neue DIN 276:2024 - Was sich ändert

Ab Januar 2024 tritt die überarbeitete DIN 276:2024-01 in Kraft. Sie bringt eine Revolution: BIM. Building Information Modeling. Das bedeutet: Ihre Kostenschätzung wird nicht mehr nur auf Papier, sondern im digitalen Modell erstellt. Je detaillierter das Modell ist, desto genauer darf die Schätzung sein.

Bei LOD 200 (grober Entwurf) bleibt die Toleranz bei ±30%. Aber bei LOD 300 (ausführungsreife Planung) sinkt sie auf ±20%. Das ist ein großer Schritt. Es bedeutet: Wer heute schon mit BIM plant, kann eine genauere Schätzung abgeben - und damit den Bauantrag stärker machen.

Und es gibt noch etwas: Der Bund will ab 2025 für alle öffentlichen Bauvorhaben eine Genauigkeit von ±20% im Bauantrag vorschreiben. Warum? Weil staatliche Projekte in den letzten Jahren durchschnittlich 38% über dem Budget lagen. Die Politik will das stoppen. Und wenn es für Kommunen gilt, wird es bald auch für Privatleute zur Norm.

Wie viel Zeit brauchen Sie wirklich?

Ein Architekt braucht für ein Einfamilienhaus 15-20 Stunden, um eine qualifizierte Kostenschätzung nach DIN 276 zu erstellen. Für ein Mehrfamilienhaus oder ein Sanierungsprojekt 30-40 Stunden. Das ist kein Schnellkurs. Das ist Expertenarbeit. Wer das selbst macht, ohne Erfahrung, macht Fehler - und das kostet später viel mehr.

Die Zeit lohnt sich. Denn eine korrekte Schätzung verhindert:

  • Bauantragsablehnung
  • Baustopp durch Finanzierungsprobleme
  • Haftungsansprüche gegen Architekten
  • Überraschende Kreditausfälle

Es ist nicht die teuerste Phase des Projekts. Aber die wichtigste.

Bauingenieur mit Tablet, das ein BIM-Modell mit aktualisierten Kosten zeigt, vor halbfertigem Haus.

Was tun, wenn die Kosten steigen?

Sie haben den Bauantrag eingereicht, die Baugenehmigung ist da - und plötzlich steigt der Preis für Stahl um 12%. Was jetzt?

Erstens: Aktualisieren Sie die Kostenschätzung. Nicht erst, wenn die Baufirma die Rechnung bringt. Sondern jetzt. Dokumentieren Sie die Preiserhöhungen, schreiben Sie eine Ergänzung zum Bauantrag und reichen Sie sie beim Bauamt ein. Das ist kein Vergehen - das ist Pflicht.

Zweitens: Informieren Sie Ihre Bank. Wenn die Kosten um mehr als 15% steigen, kann die Finanzierung gefährdet sein. Ein kurzes Gespräch mit Ihrem Kreditberater kann verhindern, dass Ihr Kredit gekündigt wird.

Drittens: Vermeiden Sie „Kostenverdrängung“. Wer bei der Sanierung den Boden weglässt, weil er zu teuer ist, zahlt später doppelt. Besser eine höhere Schätzung - und später eine geringere Überschreitung - als eine zu niedrige Schätzung und ein halbfertiges Haus.

Rechtliche Risiken - Was Gerichte entschieden haben

Die DIN 276 sagt: ±30% ist akzeptabel. Aber das Gericht sagt etwas anderes.

Das Oberlandesgericht Koblenz entschied 2022: Wenn ein Architekt genügend Informationen hatte, um eine genauere Schätzung abzugeben, aber trotzdem nur ±30% angab, kann das ein grober Fehler sein - selbst wenn die Norm das erlaubt. Die Norm ist kein Schutzschild.

Das Bundesgerichtshof urteilte 2023: Bei Sanierungen alter Gebäude ist eine höhere Toleranz von bis zu 40% möglich - aber nur, wenn die Bausubstanz nicht erkennbar war. Und: Die Dokumentation aller Unsicherheiten ist Pflicht. Wer das nicht tut, haftet.

Die Toleranz der DIN 276 ist kein Freibrief. Sie ist eine Anleitung - und ein Warnsignal. Sie sagt: „Hier ist Unsicherheit. Dokumentieren Sie sie.“

Praxis-Tipp: Machen Sie es wie die Profis

Wenn Sie wirklich sicher gehen wollen, machen Sie es wie Architekten, die schon hunderte Bauanträge durchgezogen haben:

  1. Erstellen Sie die Schätzung erst, nachdem der Entwurf fertig ist - nicht vorher.
  2. Verwenden Sie eine klare Gliederung nach DIN 276 Kostengruppen 300-700.
  3. Legen Sie die Flächen nach DIN 277 fest - und schreiben Sie, wie Sie sie berechnet haben.
  4. Rechnen Sie die Umsatzsteuer als Brutto - wenn es ein Eigenheim ist.
  5. Fügen Sie ein Dokument mit allen Annahmen hinzu: „Wir gehen von einem Boden der Klasse B aus, ohne Altlasten.“
  6. Reichen Sie die Schätzung zusammen mit den Entwurfszeichnungen ein - nicht einzeln.
  7. Halten Sie die Schätzung während der Planung aktuell. Jede Preisänderung? Dokumentieren.

Das ist kein Aufwand. Das ist Versicherung. Für Ihren Bau, Ihre Finanzierung, Ihre Ruhe.